Lust auf bessere Mobilität: Wie die Transformation gelingen kann

Ein „Weiter so wie bisher“ hat im Mobilitätssektor keine Zukunft. Doch Deutschland tut sich schwer mit der Transformation. Immer wieder erweisen sich einzelne Akteure oder Entscheider in Industrie oder Politik als Bremser. Wie sich eine zukunftsfähige und zugleich erstrebenswerte Mobilität gestalten lässt, zeigt Prof. Dr. Stefanie Bremer vom Fachbereich Architektur, Stadt- und Landschaftsplanung der Uni Kassel auf. Die Wissenschaftlerin hatte im Juli die Festrede anlässlich der Verleihung des 42. KS Energie- und Umweltpreises des Automobilclub KS e.V. gehalten.

Die Transformation des Mobilitätssektors wird öffentlich wie auch privat heiß und kontrovers diskutiert. Früher oder später kommt dabei regelmäßig die Sprache auf konkrete Maßnahmen zur Umsetzung: sei es
die Verlagerung auf die Schiene, der Ausbau des ÖPNV, der Umstieg auf E-Mobilität oder die Förderung der Fahrradinfrastruktur. Im gleichen Atemzug wird unweigerlich das Totschlagargument „Ja, aber auf dem
Land…“ herangezogen und damit die Transformation im Gesamten angezweifelt. „In den vergangenen 30 Jahren haben wir uns zu einem beträchtlichen Teil kaum weiterbewegt, weil wir eine umfassende Transformation darüber definiert haben, was nicht geht bzw. was wir nicht wollen – also beispielsweise Stau, Lärm, Verkehrstote, CO2, Stickoxide oder Stress. Stattdessen sollten wir klar benennen, was den Verkehr der Zukunft positiv macht. Können wir Verkehr so denken, dass er Freude macht und begeistert?“, erläutert Prof. Dr. Stefanie Bremer, Stadtplanerin von der Universität Kassel, den Mangel an positiven Narrativen für eine zukunftsfähige neue Mobilität.

Raumdifferenziertes Handeln notwendig
Entsprechend greift Bremers Ansicht nach auch die Einteilung in Stadt – Land viel zu kurz, wenn es um die Mobilitätsmuster über die gesamte Fläche Deutschlands geht. Stattdessen brauche es raumdifferenziertes Handeln. Dafür benennt sie beispielhaft die fünf wichtigsten Raumtypologien in Deutschland, die mit unterschiedlichen Handlungsstrategien auf die Transformation des Verkehrssektors einzahlen. „Die Einteilung in urbane, suburbane, verstädterte, ländliche und saisonal schwankende Mobilitätsmuster ist natürlich nur eine generelle. Schaut man sich eine Großstadt genauer an, lassen sich auch dort in den einzelnen Stadtteilen Unterschiede und Sonderfälle erkennen“, so Bremer, die an der Uni Kassel das Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung und Mobilitätsentwicklung leitet.

Maßnahmen für die unterschiedlichen Raumtypologien
In städtischen Räumen mit urbanen Mobilitätsmustern, also in großen Ballungszentren mit viel (Individual-) Verkehr, sei eine Mobilitätswende gut umsetzbar. Hier führt Bremer eng getaktete Bahnen und Busse an, die so pünktlich, sauber, sicher und kostengünstig sind, dass sie eine echte Alternative zum Auto darstellen, ausgebaute, sichere Rad- und Gehwege, wodurch mehr Menschen aufs Rad umsteigen oder zu Fuß gehen, oder eine deutliche Aufwertung von urbanen Zentren, die dann auch mehr Raum für Tourismus, Erholung, Handel und Events schafft. In suburbanen Räumen mit den dort häufig dispersen Mobilitätsmustern müsse vor allem der Pendlerverkehr neu gedacht werden und man müsse sich um bessere (sichere) Schulwege kümmern; zudem gelte es, sich auf das veränderte Kauf- und damit Mobilitätsverhalten der Menschen einzustellen. In zerstreut besiedelten Räumen mit verstädterten Mobilitätsmustern hingegen erachtet Bremer vor allem eine Antriebswende als sinnvoll: weg vom Benziner oder Diesel, hin zu nachhaltigen Antriebsarten, allen voran das E-Fahrzeug, und eine intelligent vernetzte Mobilität (Carpooling) käme hier zum Tragen. Touristische Räume mit saisonal schwankenden Mobilitätsmustern wiederum benötigten eine sinnvolle Steuerung der Massenverkehre – etwa wenn an Winterwochenenden Autokolonnen mit Skifahrern die Zufahrtsstraßen zu den bayerischen Alpentälern verstopfen oder im Sommer badebegeisterte Sonnenanbeter in Richtung Nord- oder Ostsee strömen.

Und wie steht es nun um die dünn besiedelten ländlichen Räume, die immer wieder Diskussionspunkt sind? „Den ländlichen Raum sollte man einfach in Ruhe lassen“, fordert Bremer. Denn hier sei und bleibe individuelle Mobilität auch langfristig eng mit dem Auto verbunden. Ein Ausbau des ÖPNV für dünn besiedelte Gebiete sei mit Blick auf eine Kosten-Nutzen-Rechnung schlichtweg nicht darstellbar. Auch die Einwohnerzahlen bestätigen die Strategie, die Transformation dort anzusetzen, wo sie den größten Effekt hat: Auf die ländlichen Räume verteilen sich in Deutschland gerade einmal rund 10 Millionen Menschen. In urbanen Räumen leben hingegen ca. 20 bis 30 Millionen Menschen und in den suburbanen und dispersen Räumen mit verstädterter Mobilität nochmals knapp 40 Millionen. „Eine intelligente Mobilität von morgen stellen wir mit passgenauen, raumdifferenzierten Konzepten dar, bei denen Industrie, Planung und Politik zusammenarbeiten“, resümiert die Stadtplanerin der Uni Kassel.

Engagement für Umwelt- und Klimaschutz mit Tradition
Seit mehr als vier Jahrzehnten verleiht der Automobilclub KS e.V. seinen KS Energie- und Umweltpreis, um den vielfältigen Herausforderungen des Umwelt- und Klimaschutzes Rechnung zu tragen. Während der Preis traditionell eher für Innovationen im Bereich Fahrzeugtechnik vergeben worden war, wurde in den vergangenen Jahren eine eigenständige, zweite Kategorie für Mobilitätssysteme geschaffen, die die umfassende Transformation des gesamten Mobilitätssektors berücksichtigt.